Allegorie und Symbol


Für die unternommene Deutung der Kreuzigungsdarstellung, wie sie im öffentlichen Raum der aufgeklärten Vernunft und kritischen Urteilskraft von Personen begegnet, ist eine Unterscheidung der Darstellungsart zu beachten, die in ihrer figurativen Gestaltung ein ungelöstes Spannungsverhältnis einbezieht und nicht als Symbol begriffen werden kann. Es kann darum auch nicht eine identifikative Funktion für ein partikulare Bekenntnisgemeinschaft ausüben. Durch das figurative und ein Entgegensetzungsverhältnis einschließende Form weist die Kreuzigungsdarstellung ein zu beachtende Verwandtschaft mit allegorischen Darstellungsweisen auf. Darum erscheint es notwendig hier diese beiden Darstellungsarten genauer zu bestimmen und auf die besondere Herausforderung der Deutung aufmerksam zu machen.



1.

Das griechische „symbolon“ bedeutet ein Zusammenfügen einer getrennten, zerbrochenen Einheit und diente der Wiedererkennung der Besitzer der zusammenpassenden Teile als ursprünglich verbunden und befreundet. Als Passteil ist es an die Nachkommen übertragbar; die Zusammenfügung der Teile stiftet Erkenntnis und wahrt die beschlossene Verbundenheit und Freundschaft.

Symbole sind daher immer auf die Einheit eines intakten Ganzen eines Bundes bezogen, auf das als ein Zusammengefügtwerdendes die Teile verweisen. Typisch für Zeichen mit symbolischer Bedeutung sind die Bildungen von Metaphern oder Bildern, in denen ein Teil für das Ganze steht (pars pro toto).

Zeichen, die als Symbole gebraucht werden, führen damit immer einen Anspruch auf Eindeutigkeit mit sich, indem ihre zu verstehen gegebene Bedeutung auf eine wohlgefügte Einheit verweist, sei sie nun gegeben oder durch die zu erwartende Zusammenfügung erhofft.

Sie können so als Ausweis einer Zugehörigkeit oder einer Zugangsberechtigung dienen.

2.

Das griechische „alla gorein“ bedeutet ein 'anders Sagen'. Allegorien erhalten ihre unersetzbare Funktion in der Sprachbildung und der Erkenntnisbildung im Verhältnis zu Ursprünglichem und Unbedingtem, nicht hindeutbar als gegebene Erscheinung aufzuweisen ist. Das zu Denkende und Mitzuteilende kann anders als in einem „Anderssagen“ nicht zum Ausdruck gebracht und im Gedächtnis zu halten dargestellt werden.

Typisch für eine allegorische Darstellung ist der Verweis auf einen Ursprung durch das Entsprungene, das sich als gebildet begreift und auf einen Ursprung verweist, dem es sich verdankt.

Das Allegorische ist darum immer eine Art von Gedächtnisgestalt, in der sich ein Bild des gegenwärtiges Daseins auf ein für es Ursprüngliches und Maßgebliches bezieht, dem es durch sich Dasein und Vernehmbarkeit zu geben sucht, aber nicht mit der Erscheinung seiner eigenen Gestalt identifizieren kann. (Allegorische Figuren sind nie Abbilder der Erscheinungen realer, daseiender Individuen und emprischer Personen).

Üblicherweise werden Allegorien in der bildenden Kunst als bildhafte Darstellungen von nicht bildlich anschaulichen (mit keiner Erscheinung kompatiblen) Begriffen verstanden. Sie zeigen die idelle, ursprüngliche maßgebliche Bedeutung in der Verhaltensart einer Figur an, die der Bestimmung entspricht, aber als Bild nicht entsprechen kann. Ihr darstellendes Entsprechen zeig eine Haltung an, der zu entsprechen die Idee weist, bekundet damit aber, dass die figurative Darsellung personaler haltung die Entsprechung nicht erfüllt hat. Diese Differenz muß sich in die Darstellungeinzeichnen und gibt der Allegorie ihre Prägung als „disjunktive Figuration“.

3.

Die Figur etwa der Gerechtigkeit, die sich in der personifizierten Göttin Dike oder Justizia darstellt, verweist auf die personale Bestimmung einer ihr entsprechenden Verhaltensweise, die von Personen ausgeübt durch die dargestellte Figur nicht ersetzt und nicht vertreten werden kann.

Die Allegorie der Gerechtigkeit erhält darum durch die Darstellung ihrer Maßgabe (als Idee des Vermögens der Gerechtigkeit) eine auftragsverpflichtende Bedeutung, mit deren Vernehmen der Betrachtende das Maß im sich für ihn bestimmenden Begriff als für sein Verhalten des Beurteilungs- und Entscheidungsvermögens bestimmend aufnimmt: die Gerechtigkeit muß aus ihrer Idee sich in einem das Beurteilungsvermögen leitenden (beherrschenden) Verhalten figurativ so darstellen, dass es in das je eigene Beurteilen entscheidungsleitend eingeht und der Maßbegriff „Gerechtigkeit“ dort eine ihm entsprechende Bedeutung entfalten kann.

Im Unterschied zum Symbol reflektiert also die Allegorie durch ihre Figuration mit der Differenz von figurativ darstellender Personengestalt und realer Ausübung der von der Idee (der Gerechtigkeit) angesprochenen und aufgerufenen Vermögen des sich als gerecht Verhaltens (umwillen der Gerechtigkeit) das notwendig Ungemäße einer Darstellung von nicht-emprischen, nicht auf Gegenstände sondern auf Vermögen dort bezogenen Begriffen, wo das Verhalten zur seiner selbstgemäßen Orientierung der Gabe in Annahme des Maßes seiner selbst bedarf.

Die Allegorie wird in ihre Form als Träger der erkenntnistragenden Kunstwerke erkennbar. Sie erhält mit der eine Haltung zur Entsprechung stellvertretenden Figur einen Bezug zur Theatralischen Darstellung und der in ihr wurzelnden Gebrauch von prosopon für die Bildung des Begriffs der Person.

4.

Das Schöne ist zwar mit der ästhetischen Analogiebildung der wünschbaren Folgen ein Symbol des Sittlichen (Tanz, Gesang und Harmonie charakterisieren die gute, wohl regierte Gemeinschaft, die eine eingreifende Regierungsmacht gar nicht spürt), aber es vermag der Verachtung ihrer Maßgabe nicht berichtigend zu begegnen. Die Sittlichkeit wird darum in ihrem verpflichtenden Charakter nicht durch das Schöne als Symbol, sondern durch die Allegorien des Erhabenen dem damit selbst auzuüben herausgeforderte Beurteilungsempfinden des Gerechten hin gegeben.

Die Deutung von Allegorien erfordert also aus dem anders Sagen im Verhältnis zur Idee als ursprünglich maßgeblicher Bestimmungsgrund eines personalen Verhaltensvermögens des Begriffs dort inne zu werden, wo die Begriffsbedeutung als ideelles Maß von Selbstentsprechung real wirksam das Vermögensverhalten leiten kann. Sie weist also den Betrachter und Deuter im Vernehmen auf den ideengemäßen Gebrauch von Begriffen der Verhaltensvermögen um des jeweils mit aufgerufenen Vermögens willen hin. Darum sind grundbegrifflich die personalen Vermögen Bedingung und Zweck im Seinkönnen einer Personengemeinschaft.


5. Allegorie der guten und der schechten Regierung – Lorenzetti, Siena

Dies kann zunächst verdeutlicht werden durch ihre Darstellung an einem Ort, wo die Allegorie unmittelbar verhaltensweisend für ein dem Guten und Gerechten (als ursprünglich maßgebend) verpflichtetes personales Handeln und Entscheiden sich zeigt: in den Bildern des Ratssaals des palazzo communale von Siena, die Lorenzetti entworfen und mit seinen Mitarbeitern ausgeführt hat.

Es sind dies die sich an die für die Kommune verantwortlichen Ratsleute wendenden Allegorien der guten und der schlechten Regierung. Das im Rat verantwortlich zu entscheidene Regierungshandeln wird aus dem Vorblick auf die wünschenswerten oder besser zu vermeidenden Folgen von darin einander entgegengesetzt dargestellten Konsequenz in ein selbst entscheidendes Beurteilen dem Entscheidungshandlen des Rats gegenüber gebraucht.

Die allegorische Figuration ist also disjunktiv entgegensetzend gefasst und fordert – in diesem Bild der Anmahnung der rechten Beratung zur Entscheidungsbeurteilung – zu einer dem Maß des Guten entsprechenden Fürsorgehandeln für die Bevölkerung auf, in dem sie das Leben des Volkes in den gut gegenüber als schlecht beurteilt dargestellten Lebensweisen maßgeblich macht (ganz im Sinne der Gemeinwohlverpflichtung). Das Maßgeblich ist so aber durch den Zweck in der Beurteilung der Folgen zu erkennen gegeben und verläßt sich auf die mit den wünschbaren und nicht für gut anzunehmen Folgen auf ein intuitives Gelten der Unterscheidungskraft zwischen Wohl und Übel.

Dem Böswilligen begegnet es dadurch jedoch nicht dort, wo es in die Entscheidungskraft einwirken kann; denn dieses hat das Übel zur Willensbestimmung, fördert die Zerstörung, nicht die Erhaltung, bildet und ermöglicht nicht die Vermögen, sondern macht sie unvermögend. Als Wille sich bewußt, zeigt es sich als selbstwiderstreitend und vermag nicht selbstsbewußt zu wollen, dass sein Wille zum Gesetz wird. Das Feindliche von vernünftig mit sich selbst einstimmender Gesetzesherrschaft muß in einer herrschenden Willensbestimmung begreiflich werden, um im Ungerechten die Gerechtigkeitsvermögen sich durch Besinnung auf das ermöglichende Maß bilden zu lassen. Erforderlich sind für das Annehmen des Maßes der „gerechtmachende Gerichtigkeit“ Darstellungen, in denen die Ausübung der sie verantwortenden Vermögen der Gerechtigkeit selbst tangiert und gegenüber ihrer Beschädigung in der Führungsverantwortung durch Einsichtseröffnung zur Geltung gebracht werden. Diese Einsichtsbildung erfolgt gegenüber der Inhabern von Macht und wird vom Geist des um das Seinkönnen als Personen sich sorgenden Personen verantwortet, die für die öffentliche Einischt das Maßgebliche der Einheitsbedingungen ins Werk seines Erkennens und Gedenkens setzten.

Die Berufung in den Rat der Stadt setzt im Auftrag und der Eignung eine Vernunftbestimmung der Urteilskraft voraus, die sich an den Auftrag des Amts bindet. Das Amt selbst wird bestimmt von Eignungsedingungen der Ausübung von Vermögen, darin sich ein Amtsträger nicht dem Bestimmungsmaß des Guten und Gerechten entziehen kann.

Auf diese ursprüngliche Bindung der personal wahrzunehmenden Verantwortung für die personalen Vermögen (in Wahrnung ihrer Bedingungen) kann eine Allegorie der ursprünglich Maßgeblichen Ideen der Vermögen der Unterscheidung von Gutem und Bösem, von Recht und Unrecht, nur durch die darstellend herauszufordernde Einsichtsbildung weisen, indem sie das Gute und die Gerechtigkeit selbst der Ausübung von ungerechter Urteilskraft aussetzt, die sich darin als selbstungemäß bekundend unmittelbar eine Gegenwendung erzeugt.

6.

Allegorisch figurative Kunstwerke fordern in ihrem „anders Sprechen“ das mitsprechende Denken im Aufnehmen ihrer auf begriffliche Bedeutungen bezogenen Gedächtnisdarstellungen heraus. Sie wenden sich nicht nur als Fürstenspiegel an die Inhaber von Herrschaftsmacht, sondern an alle einsichtsfähig Herrschaft beurteilenden Menschen, die auch als „Untertanen“ das Fürsorgehandeln als für die Gemeinschaft tauglich anerkennen können müssen. Das die Darstellung herrschaftlich entscheidenden Handelns wahrnehmende Denken muß ein konstruktives Deuten sein, das Begriffe der eigenen, darin in Anspruch genommenen Vermögen gebraucht.

Durch das sich Verdankende und Abkunfthafte des Gedächtnisses zeigt sich das Werk nicht als durch ein selbstmächtig bestimmende Kunst hervorgebracht, sondern verdankt sich, wie dies die berühmten Eingangszeilen von Homers Odyssee bekunden, der Muse, die der beginnende Gesang anruft. Die Musen sind Töchter der Mnemosyne, der alle Künste hervorbringenden und schirmenden Göttin des Gedächtnisses.

Andra moi ennepe, Mousa – Vom Mann, erzähle mir, Muse, dem vielwendigen, der die Feste Trojas zerstörte. (Odyssee, Vers 1)

Und die Theogonie des Hesiod setzt ein:

Von den Musen des Helikon / Laßt uns beginnen zu singen.“ - Mousaon Helikoniadon archometh aeidein, (Theolgie, Vers 1)

Auch die Philosophie, die nach dem Ursprung und dem Grund der entstandenen Welt fragt, ruft im Proömium der Rede des Timaios (im gleichnamigen Werk Platons) jene Gottheit an, deren Schöpferkraft sich die thematische Schöpfung wie das ihrer gedenkend und konstruktiv darstellende Vermögen des darum dichtersichen Denkens verdankt.

Die Prämbel des Grundgesetzes spricht in feierlicher Selbstverpflichtung ihr Wort vor Gott und den Menschen, nimmt für den bindenden Geltungsanspruch die Verantwortung auf sich, die dem Maßgeblichen antwortet, vor dem sie sich zu den alle Selbstmacht ursprünglich bindenden Grundgesetzen (der Achtungs- und Schutzpflicht) bekennt. Mit der Gottheit wird ein Haltungsbestimmung eingenommen, die die Verbindung von Sprechendem und Hörendem im mitvollziehbaren Denken begründet und so das Maß der Rechtfertigung annehmen läßt, etwas für alle möglichen zuhörenden Menschen Wahres und Gültiges zu erkennen geben zu können.


7. Königsmetapher der Achtung als Person – für das Selbstbewußtsein als Bürger unter Bürgern

In der Zeit des Terreurs in der französichen Revolution hat das Gleichmachen der Verstandesherrchaft der Jakobiner eine die Persönlichkeit in ihrer individuellen Lebensbindung vernichtende Konsequenz erreicht. Georg Büchner thematisiert dies in seinem Drama, Dantos Tod. Es schließt mit dem unversöhnten Doppelwort von Lucils: „Es lebe der König!“ - und das sie unmittelbar verhaftende „Im Namen der Republik.“

Paul Celan gibt dem in seiner Meridian-Rede eine dem dichterischen Denken mögliche kongeniale Würdigung.

Und hier, wo alles zu Ende geht, (…) da ist Lucile, die Kunstblinde, dieselbe Lucile, für die Sprache etwas Personenhaftes und Wahrnehmbares hat, noch einmal da, mit ihrem plötzlichen 'Es lebe der König!'

Nach allen auf der Tribüne (es ist das Blutgerüst) gesprochenen Worten – welch ein Wort!

Es ist Gegenwort, es ist das Wort, das den 'Draht' zerreißt, das Wort, das sich nicht mehr von den 'Eckstehern und Paradegäulen der Geschichte' bückt, es ist ein Akt der Freiheit. Es ist ein Schritt.

Gewiß, es hört sich (…) zunächst wie ein Bekenntnis zum 'ancien régime' an. Aber hier wird (…) keiner Monarchie und keinem zu konservierenden Gestern gehuldigt.

Gehuldigt wird hier der für die Gegenwart des Menschlichen zeugenden Majestät des Absurden.

Das, meine Damen und Herren, hat keinen ein für allemal feststehenden Namen, aber ich glaube, es ist … die Dichtung.“

Die Dichtung Paul Celans greift vielfältig das Spannungsverhältnis der zu vereinigenden Funktionen und Bedeutungen von Metapher und Begriff auf – wie das Wortpaar „Mohn und Gedächtnis“ im gleichnamigen Gedichtzyklus zeigt, bringt etwas von der geistig kompositiven, Spannungen beachtenden Gestaltungskraft der Dichtung zum Ausdruck. Sie bleibt gebunden an das ansprechende, das Hören im Sprechen einbeziehende Du. - Das lyrische Du spricht den Hörenden und Lesenden in dessen Selbstsprechen an, regt im Mitsprechen zum das selbst denken, einbilden und fühlen an, was sich im Gedicht – auch auf die Vorstellungsbilder brechenden Weise - zusagt.

Im Gedichtband der Niemandsrose finden sich jeweils auf die Gedächtnisfigur des (als die Bundesstiftung der menschlichen Gemeinschaft erneuernden Königs zu erinnernden) Gekreuzigten reagierenden Stellen, die das Königliche für das Menschsein aufgreifen:



MANDORLA

In der Mandel - was steht in der Mandel?
Das Nichts.
Es steht das Nichts in der Mandel.
Da steht es und steht.

Im Nichts - wer steht da? Der König.
Da steht der König, der König.
Da steht er und steht.

Judenlocke, wirst nicht grau.


Und dein Aug - wohin steht dein Auge?

Dein Aug steht der Mandel entgegen.
Dein Aug, dem Nichts stehts entgegen.
Es steht zum König.
So steht es und steht.

Menschenlocke, wirst nicht grau.
Leere Mandel, königsblau.

in CHYMISCH

Große. Graue. Fährte-
lose.
König-
liche.


in HINAUSGEKRÖNT:

Kelche, die vollstehn mit deinem
Königsblut, Mensch


Eine dem jeweiligen Bedeutungszusammenhang gerecht werdende Interpretation können wir hier nicht leisten, lediglich darauf aufmerksam machen, wie tief durch die Bildsprache der Dichtung die Wortbedeutungen sich in das sensitive Leben des nach Halt und Orientierung fragenden, auf Achtung und Anerkennung als Person angewiesenen Menschen eingravieren.

so
viel
wird gefordert von dem,
den die Hoffnung herauf - und herabkarrt
den Herzbuckelweg - so
viel

an der Kehre,
wo er dem Brotpfeil begegnet,
der den Wein seiner Nacht trank, den Wein
der Elends-, der Königs-
vigilie.


aus: LA CONTRESCARPE

Die Bedeutung der Königsfigur für die personale Würde des Menschen und deren Formgebung für die Entwicklung von Personalität zeigt sich auch in den Märchen, deren typische Protagonisten Königskinder sind. Die Bedeutung für das personale Selbstbewußtsein auch der bürgerlichen Erziehung und Bildung unter den Bedingungen einer republikanischen Verfassung kann auch von der Pädagogik her einsichtig werden, wir verweisen hier auf Charles Bettelheims: Kinder brauchen Märchen.