Sittengesetz im Grundgesetz



Die von Kant her mögliche Bestimmung des Sittengesetzes (Art 2.1 GG) als Bedingung der Gewährleistung von personalem Recht führt zur Einsicht in die rechtsethisch notwendige Einheit von Grundrechten und Grundpflichten aus Achtung der Würde des Menschen als Person. Sie wird, für die Erkenntnis aus ihrem Begriff, durch die „Königswürde“ des Menschen figuriert und im Grundgesetz der BRD als Träger im dadurch vereinigten Volk eine verfassungsgebende Kraft zuerkannt.


I. Ethische Grundlegung und die Rechtfertigung der Königsfiguration für die Darstellung der Bedeutung des Begriffs der Würde der Person im Grund von Recht und Gesetz.

1.

Das Sittengesetz in Art 2.1 GG nimmt als Geltungsbedingung der Inanspruchnahme des Freiheitsrechts für die Entfaltung der Persönlichkeit mit der Anerkennung, die Rechte anderer nicht zu verletzen und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz zu verstoßen, auch die sittliche Achtungspflicht der personalen Würde in der Form eines Gebots für das Verhalten im sich selbst beurteilenden Handeln auf. Das Sittengesetz, wie es in den Grundsatz der Bedingung von Freiheit als Recht eingegangen ist, wurde maßgeblich von Kant formuliert:

Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst. (Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, IV 429)

Das „Du“ spricht den je Mitdenkenden selbst an; das Gesetz stellt eine Selbstaufforderung mit der Besinnung auf etwas, das Zweck an sich selbst ist, und handlungsleitend das jeweils auf Zweck und Nutzen im Gebrauch von dafür geeigneten Mitteln ausgerichtete Verhalten berichtigt und die Entscheidungsgründe in einem Achten von sittlichen Bestimmungsgrundes des Personseins rückbindet.

Da mit der „Menschheit“ nicht die mystische Anwesenheit aller Menschen in einer jeden gegenwärtigen menschlichen Person gemeint sein kann, ist ihre Bedeutung von dem ein Menschseinkönnen als Personen zu erkennen gebenden Maß her anzunehmen, das vom Grund des Seinkönnens her auf die unbedingt zu achtenden Bedingungen der Vermögen von Menschen verweist, sich in menschlicher Gemeinschaft als (für die Menschheit immer mit Verantwortung tragenden) als Personen zu erkennen und im Recht auf Achtung anerkennen zu können. Die zitierte kantische Formulierung des Sittengesetzes kann darum auch lauten:

Handel so, daß Du die personalen Vermögen des Menschseins in der Person eines jeden Menschen nie als bloßes Mittel für andere Zwecke gebrauchst, sondern immer als Zweck an sich selbst achtest.

Das sittliche Gebot richtet sich deutlich an ein Bewußtsein, das sich instrumentell verhalten und nach Nutzen und durch Mittelgebrauch verfolgte Zwecke sein Handeln ausrichten kann. Die sittliche Grundhaltung, die sich in der Verfassungsverantwortung des Rechts ausprägt, ist eine nicht zweckhaft bestimmende, sondern läßt sich von maßgeblichen Gründen aus Achtung zur Anerkennung von Achtung als Pflicht bestimmen.

Damit ist aus Sittlichkeit gebietender Achtung für das Achten von Menschen als Personen den menschlichen Vermögen, selbst als Person sein zu können, eine Würde zuerkannt, die sich für keines der Vermögen ablösen läßt von der Einheit als Person und damit von keiner der anderen Vermögen und Bedingungen des Personseinkönnens. Es ist aber wesentlich, dass die sich unterscheidenden Vermögen auch in ihren unterschiedlichen Aufgaben begriffen und erkennbar bleiben, sonst kann kein Maß erkannt und angenommen sein. Das Menschheitliche in der kantischen Formulierung verweist auf eine Einheit menschlicher Vermögen in der Einheitsbedingung des Personseins, die sich ohne Auftrag an die Gemeinschaft nicht zur Geltung bringen und nicht (handlungsleitend) gewahrt werden kann. Die aus ihrer Unterscheidung als zu integrieren begriffen werdenden Vermögen erschließen in der Gründungsverantwortung ihrer Begriffsbestimmungen das Maßgebliche für das Verhalten jeweils als Person und der Personengemeinschaft im Gemeinsinn des Sittlichen im Recht.

2.

Daß die unbedingte Achtungspflicht der Würde des Menschen als Person sich als grundgesetzgebende Selbstverpflichtung der Anerkennungsgemeinschaft geltend macht, zeigt sich in der Übergangsbestimmung von Art 1 zur Anerkennung der Freiheitsgrundrechte mit der Bindung an Recht und Gesetz. Diese Selbstbindung wird als sittliche Pflicht durch den ebenfalls von Kant im Blick auf die Begründung von Ethos und Recht formulierten und als kategorisch geltend zu begreifenden Imperativ erfasst.

Handle so, dass die Maximen Deines Handelns zum allgemeinen Gesetz werden können.

Maximen sind in der Anwendung durch real tätige Personen wirksam werdende Grundsätze (subjektive Bestimmungsgründe des erfasstwerdenden Handelns der im Du je angesprochenen Person).

Kategorisch ist diese Anforderung an das eine Grundsatzbestimmung der Haltung im Handeln verantwortende und in seiner Entscheidungsbestimmung beurteilende Verhalten, weil sie die Bedingung von Gesetzgebung an das zum Gesetzwerden in allgemeiner Geltung und damit der gemeinschaftlich anerkennenden Befolgung bindet:

Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger und zwar dieser: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde. (Grundlegung der Metaphysik der Sitten AkAusg. IV 421, GMdS)

Mit der Vernunft ist durch die in der Selbstbesinnung erfolgende Bindung des je eigenen Willens und das personale Angesprochensein im Du die Freiheit angesprochen, die personal in der Gesetzgeltungsverantwortung ihres Rechts steht, da ein Gesetz nur willensbestimmend gegeben und befolgt werden kann, wenn die Freiheit im Gebrauch der je eigenen willensbestimmenden Vermögen einzelner Personen mit der Freiheit einer jeden anderen zusammen bestehen kann (wie Kant dann in der Einleitung zur Rechtslehre der Metaphysik der Sitten (MdS) den Begriff des Rechts zu bestimmen ansetzt).

Daß wir mit dem kategorisch auf die Gesetze bezogenen Imperativ zugleich ein Maß der zu berücksichtigenden Kriterien für die Verhaltensbeurteilung von Personen haben, wenn in der (tatbestands­erfassenden) Darstellung ihrer Handlungsausrichtung das Handeln zu beurteilen ist, sucht Kant selbst einsichtig zu machen, indem er die Frage danach aufwirft:

Die Frage ist also diese: ist es ein nothwendiges Gesetz für alle vernünftige Wesen, ihre Handlungen jederzeit nach solchen Maximen zu beurtheilen, von denen sie selbst wollen können, daß sie zu allgemeinen Gesetzen dienen sollen? Wenn es ein solches ist, so muß es (völlig a priori) schon mit dem Begriffe des Willens eines vernünftigen Wesens überhaupt verbunden sein. Um aber diese Verknüpfung zu entdecken, muß man, so sehr man sich auch sträubt, einen Schritt hinaus thun, nämlich zur Metaphysik, obgleich in ein Gebiet derselben, welches von dem der speculativen Philosophie unterschieden ist, nämlich in die Metaphysik der Sitten. (GMdS IV 426)

Mit den Beispielen, in denen wiederholt das Geben eines Versprechens in seinen willensbindenden Bedingungen bedacht wird, kommt Kant zum Ergebnis:

hieraus folgt nun das dritte praktische Princip des Willens, als oberste Bedingung der Zusammenstimmung desselben mit der allgemeinen praktischen Vernunft, die Idee des Willens jedes vernünftigen Wesens als eines allgemein gesetzgebenden Willens. (IV 431)

Das sittlichen Gebot der Prüfung von Grundsätzen in der Verhaltensausrichtung des personalen, willensbestimmbaren Handlungen (wie im Versprechen oder im Vertrag und eben der Gesetzgebung selbst) bezieht sich also sowohl auf die Vermögen der Gesetzgebung wie der Beurteilung ihrer grundsätzlichen (grundsatzförmigen) Bestimmungen.

Das im kategorischen Imperativ Kants aufzunehmende Sittlichkeitsgebot ist darum nicht auf das Kriterium der Verallgemeinerbarkeit eines Grundsatzes zu reduzieren, vielmehr erfordert die Rücksicht auf die Anwendung (in Befolgung die Einbeziehung aller für das jeweilige gesetzesbefolgende Handeln in der Gemeinschaft) eine Zusammenstimmung der Anwendung, die sowohl auf die jeweiligen Fallkonstellationen als auch auf die Gemeinschaftlichkeit der Befolgung Rücksicht nimmt.

Damit sind sowohl die Vermögen der Gesetzgebung als auch die der für die Anwendung von Gesetzen und Grundsätzen zuständigen Urteilskraft angesprochen und damit in die Vermögensachtung als Person aufgenommen. Weder sittliche und rechtliche Gesetzgebung, noch ethische und rechtsprechende Beurteilung des Rechten sind darin entgegengesetzt.

3.

Traditionell vereinigt sind die sowohl sittlichen wie rechtlichen Vermögen von Gesetzgebung und Rechtsprechung in der Person des Königs.

Dieses sittliche Königtum kann sich in auch Zwang durch Gewalt ausübenden staatlichen Machtinsitutionen nicht durch eine einzelne Instanz verkörpern. Der Anspruch des absolutistischen Staatskönigtums: L'etate c'est moi. muß mit der notwendigen Selbstunterwerfung des Gesetzgebers und der Fürsorgepflicht des regierenden Königs für das Volk als Gesetzebungs- und Rechtsprechungsbefolgungsgemeinschaft zur Wendung in eine zunächst konstitutionelle Monarchie führen, in der die Legislative eine der Regentschaft gegenüber weisungsgebende Macht wahrnimmt, die Ausgang aller Legitimität von Staatsgewalt wird. Wäre das Oberhaupt den durch es selbst gegebenen Gesetzen nicht unterworfen, erzeugte dieser Mangel an Teilhabe an der Gesetzesherrschaft einen Bruch in der Geltung als Recht, wie an den Streitigkeiten zwischen Kaiser Friedrich II und den italienischen Städten zu lernen ist.

Das Unverletzliche und Unantastbare der Person des Königs wandert mit der sittlichen Zuerkenntnis der Gesetzgebungsvermögen als Vernunftvermögen (mit der Aufklärung) in die Würdeachtung der Person eine jeden Menschen ein, der als an der Souveräntität des Volkes konstitutiv teilnehmend - dem Königlichen gleich - zu achten und im Recht dieses Vermögens, selbst Gesetze geben zu können, anzuerkennen ist.

Königlich sind damit die demokratisch sich verfassungsgesetzgebend selbst beherrschenden Völker wie die die Ausübung im sich vergemeinschaftenden Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsverband daran teilzunehmen anzuerkennenden Personen. (zu den „königlichen Völkern“ siehe Kant: Zum ewigen Frieden; dazu auch Ottfried Höffe; „Königliche Völker“)

Der vernunftbestimmte, verfassungsverantwortende Wille ist darum ein notwendig zu achtendes, nur durch die Teilhabe an der rechtsallgemein wirksamen Gesetzgebung zu wahrendes Vermögen, das in der Vereinigung von Vernunft und Freiheit den Willen zur die Selbstachtung einschließenden Achtung der Würde als Person bestimmt.

Alle Maximen werden nach diesem Princip verworfen, die mit der eigenen allgemeinen Gesetzgebung des Willens nicht zusammen bestehen können. Der Wille wird also nicht lediglich dem Gesetze unterworfen, sondern so unterworfen, daß er auch als selbstgesetzgebend und eben um deswillen allererst dem Gesetze (davon er selbst sich als Urheber betrachten kann) unterworfen angesehen werden muß. (ebda.)

Freiheit und Vernunft können nur vereint die Selbstzweckhaftigkeit willensbestimmend in die Achtung nehmen. Der Wille muß als Einheitsbedingung seiner Vernunft in der Freiheit die Vermögen seiner Selbstbestimmung achten können, sich also von deren vereinigten Bedingungen bestimmen lassen, die in der Handlungsgemeinschaft in gesetzgebender Verantwortung sich geltend machen. (ohne die keine verallgmeinerungsfähiger Rechtsanspruch bestehen und anerkannt sein kann → sich selbst bindender Rechtswille). Kant berührt diese reflexive Rücksicht, indem er erkennt:

wenn es einen kategorischen Imperativ gibt (d.i. ein Gesetz für jeden Willen eines vernünftigen Wesens), so kann er nur gebieten, alles aus der Maxime seines Willens als eines solchen zu thun, der zugleich sich selbst als allgemein gesetzgebend zum Gegenstande haben könnte

Methodisch ist jedoch zu beachten, dass ein Vermögen als Bedingung kein „Gegenstand“ sein kann, die Bedingungsreflexion also nicht gegenstandsbestimmend verfährt.1

Die jene grund- und gesetzgebenden Vermögen der Vernunft und die das Rechte und Angemessene beurteilend zur Geltung bringenden Vermögen der Urteilskraft können in Vertretung der Personen als einzelne und als Gemeinschaft deren Stellung in der als grundlegend (für die genannte Vermögensausübung) zu achtenden Würde nicht ersetzen. Darum bestimmt sich aus der Würde des Menschen als Person die sie zu achten und zu schützen bestimmte Vertretungsmacht als notwendig gewaltenteilig sich organisierend.

Die Gewaltenteilung wird zurecht als eine unabänderliche Bedingung der Verfassungsgrundordnung erkannt und mit Art 1 und den Bestimmungen zum Ausgang aller Staatsgewalt vom Volk des Art 20 in die Bestimmungsgründe der „Ewigkeitsklausel“ des für unantastbar zu achtenden Grundbestand der Verfassung aufgenommen.2

Das in der dem Volk zuerkannten verfassungsgebenden Kraft vorausgesetzte Ausübenkönnen der Vermögen der Gesetzgebung und ihrer Beurteilung als eine Rechtsgemeinschaft zu gründen fähig, (eine Rechtsbefugnis kann in keinem andern Grund als in den Vermögen dazu liegen) bilden entscheidende, aber nicht zu verselbständigende, sondern als auch aneinander teilnehmend zu beachtende Vermögen in der Einheit des Seinkönnens als Personen, die in ihrer Würde unbedingt zu achten sind.

Die Achtung von Vermögen ergibt sich von ihrem Grund in der Einheitsordnung der Ermöglichung des Personseins her, nicht von einer empirisch, am Erfolg der Erreichung eines Zwecks meßbaren Leistung. Ein Unvermögen durch Verfehlung der Selbstgemäßheit in der Ausübung von Vermögen erzeugt immer einen Widerstreit in Selbstbewußtsein der Handlungsbestimmung und ihrer Achtung, der zu ihrer Berichtigung das Verhalten in die Bildung des Vermögens in seinem Wirken und seiner Orientierung weist.

Die Königsdramen sind schon seit der griechischen Tragödie Darstellung der als würdig zu achtenden Vermögen der Person, deren Handeln dem ursprünglich göttlichen Maß verantwortlich ist, darin aber Bedeutung hat für Einheit und Erhalt des Volkes.

Die Legitimität des in Gemeinschaft für sie bestimmenden Handelns ist in der Konstitution von Souveränität als Ausübung von Gesetzgebung an die erkennbare Bevollmächtigung des Königsamts gebunden und fordert Anerkennung durch die dem königlichen Gesetz zu folgen bestimmten Menschen. Das Kriterium von Legitimität und die Achtung der Königswürde in der Herrschaftsausübung bedingend, ist das durch die Gesetzesweisungen ermöglichte gemeinschaftlichen Befolgen der Gesetze, bindet also in die Vermögensbedingung des Königlichen die Vermögen des Befolgenkönnens gegebener Gesetz als gemeinschaftskonstitutiv ein. Damit ist aber das Vernunftvermögen eine jeden im königlich regierten Volk als nach Gesetzen und Grundsätzen handlen zu können, geachtet. Die gesetzgebende Vernunft kann gar keine als Recht rechtfertigbaren Gesetze geben, wenn diese nicht in deren Bestimmungsgründen die Achtung der gesetzesbefolgenden Vernunftvermögen wahrt und eine Achtungsgemeinschaft von Personen konstituiert, also sich selbst der Verpflichtung bewußt ist, diese vor Verletzung und Mißachtung in Ermöglichung ihrer Bildung und Entwicklung zu schützen. Als diese Bedingungen zur Geltung bringendes Grundgesetz ist das die Rechtsgemeinshaft grundlegende Gesetz selbst königlich. (vgl. Das Gesetz von allem der König, Pindarfragmente, Übertragung durch Hölderlin).

Denn vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle. Hiedurch aber entspringt eine systematische Verbindung vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche objective Gesetze, d.i. ein Reich, welches, weil diese Gesetze eben die Beziehung dieser Wesen auf einander als Zwecke und Mittel zur Absicht haben, ein Reich der Zwecke (freilich nur ein Ideal) heißen kann.

Es gehört aber ein vernünftiges Wesen als Glied zum Reiche der Zwecke, wenn es darin zwar allgemein gesetzgebend, aber auch diesen Gesetzen selbst unterworfen ist. Es gehört dazu als Oberhaupt, wenn es als gesetzgebend keinem Willen eines andern unterworfen ist.

Das vernünftige Wesen muß sich jederzeit als gesetzgebend in einem durch Freiheit des Willens möglichen Reiche der Zwecke betrachten, es mag nun sein als Glied, oder als Oberhaupt. Den Platz des letztern kann es aber nicht bloß durch die Maxime seines Willens, sondern nur alsdann, wenn es ein völlig unabhängiges Wesen ohne Bedürfniß und Einschränkung seines dem Willen adäquaten Vermögens ist, behaupten. (Kant, GMdS, IV 434)


II. Würde des Menschen als Person

1.

In Kommentierung und Auslegung von Art 1 GG sind Verfassungsrechtler wie Düring, Kirchhof, Hofmann oder Enders, um nur einige zu nennen, zurecht vom Begriff der Würde des Menschen als Person ausgegangen, denn anders läßt sich die menschliche Würde als Bestimmungsgrund von Achtung und Schutz nicht als verhaltensbestimmend annehmen und begreifen:

ihr Begriff läßt sich dem Maß seiner Bedeutung gemäß nur im Mitvollzug der Begründungseinsicht von Rechten und Pflichten bestimmen. Daraus ergibt sich die Figur des in Art 1.3 gegebenen Verfassungsauftrags von Würdeachtung durch Grundrechtsbindung im Schutzauftrag.

Von diesem ihrem Bestimmungsgrund her sind alle Grundrechte personale Rechte und beziehen sich auf Vermögen und Bedingungen des Personseinkönnens in einer es achtenden Rechtsgemeinschaft.

Die Grundrechte wahren (in der Form als Anerkennung von Recht gebietende Rechtsgrundsätze) den Unterschied von Würde als Grund von Recht durch ihre Rückbindung an die Achtung als sittliche Haltung. Die personale Würde des Menschen als Bestimmungsgrund des selbstgemäßen Verhaltens als Person zu Personen im ganzen ihrer (zu Selbstsein und Gemeinschaftlichkeit befähigenden) Vermögen ist durch die sie als Maßgrund von Verpflichtung annehmenden Gesetze und Grundsätze in notwendigen, nicht jedoch schon hinreichenden Bedingungen zu achten begriffen.

2.

Die Bedeutung des Sittengesetzes als Bedingung der Grundrechtsgeltung von Freiheit der Person (in Art 2.1 GG) weist auf den in den Kriterien der Rechtsbeurteilung zur Geltung zu bringenden Bestimmungsgründe des Rechts zurück.

Die Anwendung von Gesetzen durch die Rechtsprechung kann nicht selbst wieder nur durch Gesetze geregelt werden, sondern sie bedarf der Rücksicht der Urteilskraft als Gemeinsinn, der die Zusammenstimmung der Rechtsbeurteilung als Kriterien der Anwendung von Grundsätzen des Rechts in fallbezogen, aber verallgemeinerbarer Geltung sittlich wie rechtlich vertritt.

3. Begriff der Person in ermöglichender Achtung

Die auf die Bedingungen und Vermögen des Personseinkönnens in Achtungs- und Anerkennungsgemeinschaft bezogenen Verpflichtungskriterien der Achtung können auch nie als Ausschlusskriterien gebraucht werden. Der Personbegriff ist von der Würde als verpflichtender Achtungsgrund nicht durch Merkmalzuschreibungen (von Fähigkeiten) bestimmt, deren Fehlen zu einem Nichtanerkennen (von menschlichen Lebewesen) als Personen führte. Der Personbegriff hat einen grundlegenden Gemeinschaftsbezug in der Pflicht zur stellvertretenden Wahrnehmung von Rechten, insbesondere dort, wo der Rechtsträger sie selbst nicht wahrnehmen kann.

Der in der Verfassung für das Grundverhältnis der Würde zu unbedingt anzuerkennenden Rechten und unbedingt wahrzunehmenden Pflichten grundlegend gebrauchte Begriff der Person bestimmt sich darin (ganz im Sinne Kants) als der eines Wesens, das Rechte hat, und erweitert sich mit der Teilhabevorausetzung an der verfassungsgebenden Kraft des Volkes zur Bestimmung als Träger von Gesetzgebung, die zur Gewährleistungspflicht der Teilhabe (mündiger Bürger) an der Rechtsgesetzgebung führt und Verfassungsauftrag ist.

Die herausfordernde Konfrontation mit der Gedächtnisdarstellung der entwürdigten, machtlos für alle Menschen stehenden königliche Figur des Gekreuzigten kann die geistige Bildung der Achtungs- und Kritikvermögen der Bürger im Bewußtsein ihres Personseins fördern, die sie in der Beurteilung der verfassungstreuen, rechts- und pflichtgemäßen Ausübung von Staatsgewalten muß ausüben können.


III. Achtung als Vernunftempfindung

Das Heilige3 der Unantastbarkeit der Würde kann als Grund der Achtung nie nur gedacht, es muß empfunden werden (nicht als Versicherung des Anwesens); denn das Achten ist eine Vernunftempfindung (vgl. dazu Kant, Kritik der praktischen Vernunft), in der sich das Denken zur Anerkennung aus verpflichtungsfähiger Vernunfteinsicht und das Empfinden sich in der Vernunft der Freiheitsverantwortung mit dem Annehmen des (bestimmend) gebenden Grundes von Recht sich (selbstberichtigend) von der sinnlichen Wahrnehmung von Körpern, Stoffen und Dingen (ob aus Teilchen oder aus Wellen zusammengesetzt) unterscheidet, die materiell sinnlichen Bedingungen des personalen Lebens aber in die Fürsorge des Seinkönnens als Person einbezieht. Darum erkennt Art 2.2 GG als Bedingung des Freiheitsrecht die Pflicht, die Lebensvermögen von Personen durch die Anerkennung des Rechts auf Unversehrtheit zu schützen.

Sofern die Schutzpflicht aus der Achtung der Würde als unantastbar sich nur aus einer unabtrennbaren Verbindung des empfindend zu Achtenden und seiner zu gedenkenden Verletzbarkeit bestimmen kann, muß es für den Verpflichtungsgrund eine ihn gedenkend ausweisende Darstellung geben, um den alles rechtsstaatliche Handeln leitenden Grundsatz von Art 1.1 Satz 2 - Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“- als begründet und bindend denken und (anerkennend) annehmen zu können. Dieses anerkennende Denken ereignet sich als Anerkennung des Rechts auf Achtung.

Die staatliche Verpflichtung entspringt nicht aus Willkür, nicht als eine Wertentscheidung, der die meisten, weil sie dieses Schutzbedürfnis haben und es zu ihrer etablierten Kultur gehört, konsensbildend zustimmen können, sondern diese Willenszustimmung muß als ewig Gültiges, es in die Acht hebend, mit Einsicht erfolgen können. Nur dann ist die die Grundsätze von Art 1 und Art 20 GG vereinende Grundordnung als ewig unveränderbar geltungsfähig und wird zum Verteidigungskriterium gegen allen Mißbrauch.

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1

In diesem Gebrauch des Begriffs „Gegenstand“ für die reflexive Bezugnahme des Willens in der Selbstbestimmung auf sein eigenes Vermögen als maßgeblich bestimmend, verbirgt sich ein – auch nach Kants eigenem Maß der Kritik der Vermögen – entscheidender Fehler (der auch in der Rede vom „objektiven“ Gesetz, das in Analogie zum Naturgesetz gedacht werden könne, wiederkehrt).

Denn es sind die Kategorien als Verstandesbegriffe die „Begriffe eines Gegenstands überhaupt“. Die Hauptaufgabe der Kritik der reinen Vernunft war aber die Unterscheidung von Kategorien und Ideen, die also nicht kategorial bestimmt werden können, aber das Maßgeblich für das selbstgemäße Verhalten von Vermögen (der Vernunft, der Freiheit und des Willens) bedeuten und so (als durch sie geleitet) zu vernehmen sind. Dass die Vernunft nicht als spekulative und theoretische – im Gebrauch von Kategorien – ihre Vermögensbedingungen erkennen und angemessen denken kann, führt den Lösungsweg der Antinomie, in den sie sich durch eine mangelnde Unterscheidung von gegenstandsbezogenem Verstandesdenken und gesetzgebender Vernunft in der Bildung von Grundsätzen der Urteilskraft verstrickt zur Annahme eines Aufgegebenseins für die praktisch einstimmungsfähige Orientierung gegenüber der Unterstellung eines Seins als Gegebenseins (von Unbedingtem oder Totalität).

Problem in der KpV, die gegenstandsbezogen verfährt und trotz ihrer Einsicht in die Achtung als Vernunftempfindung die „Triebfedern“ der Sittlichkeit in mechanischen Analogien zu denken ansetzt und statt einer vermögensverantwortenden Einteilungsreflexion der Freiheit unter Bestandsbedingungen als anerkanntes Recht Pflichten aus „Kategorien der Freiheit“ herzuleiten versucht, also genau das macht, was die Einsicht der Kritik der Vernunftvermögen untersagt: Kategorien auf nicht sinnliche Gegebenheiten anzuwenden.

Entsprechend ist die Würde des Menschen ebenso wenig ein möglicher Gegenstand des urteilenden (bestimmenden) Denkens wie das Heilige oder das Göttliche oder sonst ein als unbedingt anzunehmendes Gefüge von zu beachtenden Bedingungen.

2

Der demokratisch ethischen Organverantwortung gemäß dürfte die Bestellung von Vertretern zur Gesetzgebung (in der Wahl von Abgeordneten) nicht in eins mit der Berufung von Regierungsvertretern fallen.

3

vgl. zur Genesis des Attributs der Würde als unantastbar die Protokolle der Herrenchiemseekonferenz